Höherweg 271


Rita Kersting, Düsseldorf

Schon zu Jan Wellems Zeiten haben in Düsseldorf hiesige Künstler auswärtige Künstler in die Stadt gelockt und so ein Klima der Kommunikation und des Austausches geschaffen. Geben und Nehmen lautet die Devise, und so wird ein Stück der Welt draußen für eine Zeitlang gegen ein Atelier mit Künstleranschluß getauscht. Das, was Kulturpolitiker, wie damals z.B. Anna Maria de Medici oder heute Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff von oben zu stimulieren versuchen, funktioniert am besten, wenn Künstler selber die Initiative ergreifen.

 

Auch in den ausgehenden 1960er Jahren, als junge Künstler aus Amerika und Westeuropa Düsseldorf zum festen Heimathafen zählten und in dieser Stadt wegweisende künstlerische Konzepte und Projekte entwickelten, war für die gute ‚Ortsenergie’ vor allem ein Künstler verantwortlich: Konrad Fischer, der ehemalige Maler Konrad Lueg, der seine internationalen Kollegen in seiner neu eröffneten Galerie ausstellte und in engem Austausch mit ihnen die meist ortsspezifischen Projekte realisierte. Die Kunsthalle und der Kunstverein profitierten vom regen Kommen und Gehen und trugen ihren Teil dazu bei; eine ungewöhnliche improvisierte und ‚schnelle’ Ausstellungsreihe wie “in between” zeugt von der Frequenz und der hohen Qualität der künstlerischen Gäste. Auch viele auswärtige Künstler, die zu Einzelausstellungen eingeladen waren, blieben länger in der Kunststadt, sie waren ‚artists in residence’ ohne tatsächliche Residenz oder offizielles Programm, sondern eingeladen von den Düsseldorfer Künstlern und abhängig von ihrer Gastfreundschaft.

 

Betrachtet man die Künstler, die in dieser Zeit Düsseldorf und die hiesige Kunstszene prägten, trifft man auf eine internationale Avantgarde. So kamen Mitte der sechziger Jahre durch die Vermittlung von Joseph Beuys zahlreiche Fluxuskünstler, darunter Nam June Paik, Arthur Köpcke und John Cage nach Düsseldorf ebenso wie die amerikanischen Minimalisten Robert Morris und Yvonne Rainer. Marcel Broodthaers arbeitete zwei Jahre am Burgplatz, wo er die Séction Cinema seines Musée d’Art Moderne entwickelte, in direkter Nachbarschaft zu Daniel Spoerris weithin ausstrahlendem Eat Art-Restaurant. Die ebenfalls von Künstlern betriebene Kneipe Creamcheese und offene Initiativen wie Chris Reineckes und Jörg Immendorffs Lidl-Akademie waren Anziehungspunkt für eine internationale Künstlerschaft, zu der Robert Smithson ebenso zählte wie Gilbert und George, Bruce Nauman oder Carl Andre.

 

Wie wichtig die Sauerstoffzufuhr von außen für das künstlerische Klima in der Heimat ist, wurde besonders in Düsseldorf immer wieder deutlich. Noch in den siebziger und achtziger Jahren kamen Künstler aus aller Welt für kurze oder längere Zeit nach Düsseldorf, um „von hier aus“ zu agieren. Anfang der neunziger Jahre verlor die Stadt dann ihre Anziehungskraft aus Gründen, die u.a. mit hohen Mieten, mit dem Klima an der Akademie, mit der Ausstrahlung von Berlin zusammenhingen. Internationale Künstler hatten weder Grund noch Gelegenheit, nach Düsseldorf zu kommen – eine Misere, die wieder einmal durch Künstler nicht nur erkannt, sondern auch behoben wurde: 1994 bekamen die Künstler des neu gegründeten Vereins Ateliers Höherweg e.V. von der Stadt das ehemalige Verwaltungsgebäude, Haus Nr. 271 auf dem Höherweg, in Nutzung, in dem zwölf Ateliers untergebracht wurden – Arbeitsräume für elf Düsseldorfer Künstler, plus ein zwölftes für einen wechselnden, für jeweils drei Monate eingeladenen ausländischen Künstler.

 

Vor neun Jahren, 1996, konnte man erstmals eine Ausstellung einer Höherweg-Stipendiatin besuchen, und ich erinnere mich gut an die farbige Raumverspannung der niederländischen Künstlerin Lara Schnitger – ein ortsgebundenes amorphes Werk aus Plastikplanen, das während ihres dreimonatigen Arbeitsaufenthalts in Düsseldorf entstanden war. Bis dato kannte man Schnitger kaum – eine damals 26-jährige Künstlerin, deren Werk heute in internationalen Ausstellungen regelmäßig anzutreffen ist.

 

Daß die Künstler am Höherweg 271 nicht der Vorstellung vom Künstler als isoliertes Genie anhängen, zeigen sie schon dadurch, daß sie das alte Firmengebäude gemeinsam nutzen und in Aktionen immer wieder auch nach draußen öffnen. Seit Gründung der Künstlergemeinschaft kommt nach dem Standbein-Spielbein-Prinzip neben den festen Atelier-Mietern immer ein Fremder hinzu: ein Künstler, der für jeweils drei Monate in das Haus zum Arbeiten eingeladen wird. Mittlerweile sind mehr als 35 Künstler aus Europa, Afrika, Asien, Australien und Amerika in den Genuß gekommen, das Gastatelier am Höherweg zu nutzen. Es sind Künstler, die sich selbst darum bemühen oder von Freunden empfohlen werden, Künstler, die Kontakte zum Höherweg aufnehmen, von dort aus ‚via via‘ angesprochen werden oder von Kuratoren vorgeschlagen werden. Es gibt also keine Kommissionen, keine Auswahlverfahren nach Din-Norm, sondern ein persönliches Engagement auf allen Seiten.

 

Ein Netzwerk zu schaffen, also ein Beziehungsgeflecht, das nicht hierarchisch, nicht linear, nicht polar funktioniert und keiner einfachen Ordnungslogik unterliegt, ist das Anliegen der Künstler am Höherweg. Mit jedem neuen Gast intensiviert und potenziert sich das Geflecht und damit die Möglichkeit der Kommunikation zwischen dem Eigenen und dem Fremden, dem Alten und dem Neuen. Die Einrichtung des Gastateliers am Höherweg ist nicht nur eine virulente Zelle, die das Atelierhaus mit Energie speist, sondern auch in die Stadt und ihre Kunstszene ausstrahlt. Die ausländischen Künstler nehmen Kontakt auf zu ihren Kollegen, zu den Institutionen und Künstlerinitiativen und praktizieren so das Prinzip des Gebens und Nehmens, des künstlerischen Austausches, der seit Jahrhunderten für diese Stadt so bedeutend war.

 

Die Schweizer Künstlerin Liliane Freiermuth war im Jubiläums-Frühjahr 2004 zu Gast am Höherweg. Ihre Rauminstallation „Päng päng“, die aus einer Zielscheibe, einem Gewehr und einer Schießbude besteht, bezieht die künstlerische Nachbarschaft ein. Und indem sie so genau wie möglich zielen und schießen, vollenden die Künstler Pia Fries, Bernd Mechler, Jan Kolata, Katharina Grosse und Hedwig Rogge das Werk der von ihr eingeladenen. Sie durchlöchern die Schießscheibe und verletzen so die grafische konzentrische Form durch ihren notgedrungen unkontrollierten Kompositionsbeitrag. Ihr Schuß bleibt wie ein Souvenir im Kunstwerk erhalten – als eine Signatur der Gastgeber.